«Die Schläger haben Alain auf dem Gewissen»

Aktualisiert

Suizid nach Jugendgewalt«Die Schläger haben Alain auf dem Gewissen»

Alain Meier (21) wurde in der Stadt Zug von Jugendlichen verprügelt. Drei Tage später nahm er sich das Leben. Sein Vater macht die Schläger dafür verantwortlich.

Marco Lüssi
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Marco Lüssi

Beat Meier ist in tiefer Trauer. Sein Sohn Alain (21) hat sich am 8. September das Leben genommen. Nur drei Tage vorher war der junge Mann in Zug von einer Gruppe von Jugendlichen verprügelt und mittelschwer verletzt worden.

Meier ist sich sicher, dass dieser Vorfall der Auslöser für die Verzweiflungstat seines Sohnes war. «Wäre er nicht zusammengeschlagen worden, würde Alain heute wohl noch leben», sagt er.

Schon vorher Opfer von Gewalt

Sein Sohn habe nach einer komplizierten Geburt einen schweren Start ins Leben gehabt. «Weil er nicht wie alle anderen war, wurde er von anderen Jugendlichen immer wieder geplagt, mehrmals war er körperlicher Gewalt ausgesetzt.» Durch die zunehmende psychische Belastung habe er die Lehre abbrechen und sich wegen Suizidgefährdung behandeln lassen müssen.

Zuletzt hatte Alain sich laut seinem Vater aber wieder gefangen: «Es ging ihm besser. Er hatte einen neuen Therapieplatz gefunden. Und er freute sich sehr auf die Reise nach Alaska, die er mit seinem Bruder und mir nächstes Jahr unternommen hätte.»

Im Streit ging es um Bier

Diese neue Lebensfreude sei seinem Sohn genommen worden, als er am 5. September kurz nach Mitternacht auf der Schützenmattwiese in der Stadt Zug brutal verprügelt wurde. «Die Schläger haben meinen Sohn auf dem Gewissen.»

Laut den Aussagen von Alain kam es zur Auseinandersetzung, weil er sich weigerte, Bier an unter 16-Jährige weiterzugeben – daraufhin sei er niedergeschlagen worden. Kurz nach der Entlassung aus dem Spital, wo er wegen seiner Kopfverletzungen behandelt worden war, beging Alain zuhause Suizid.

Beat Meier hat den Fall selber auf Facebook öffentlich gemacht – bis am Sonntag wurde der Post über 25'000-mal geteilt. «Ich bin überwältigt von der Anteilnahme», sagt der Vater. In seinem Post ruft Meier Zeugen der Schlägerei dazu auf, sich bei der Polizei zu melden. «Ich will keine Hetze gegen die Täter – aber ich will, dass sie zur Verantwortung gezogen werden.»

«Jugendgewalt kann tödliches Leiden verursachen»

Sein Hauptanliegen sei aber, dass er zu Zivilcourage aufrufen wolle. «Jugendgewalt darf man nicht hinnehmen – das Beispiel meines Sohnes zeigt, wie sehr die Opfer leiden.» Ein Leiden, das tödliche Folgen haben könne. «Ich will verhindern, dass es weitere solche Fälle gibt.» Die Ermittlungen der Zuger Polizei zur Schlägerei laufen noch.

Die geplante Reise nach Alaska wird Beat Meier zusammen mit den Geschwistern von Alain antreten. «Wir werden dort Alains Asche verstreuen.»

Suizidgedanken? Hier finden Sie Hilfe

Suizidgedanken? Hier finden Sie Hilfe

Beratung:

Dargebotene Hand, Tel. 143, (www.143.ch); Online-Beratung für Jugendliche mit Suizidgedanken: www.u25-schweiz.ch

Kirchen (www.seelsorge.net);

Anlaufstellen für Suizid-Betroffene:

Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils (www.nebelmeer.net);

Refugium – Geführte Selbsthilfegruppen für Hinterbliebene nach Suizid (www.verein-refugium.ch);

Verein Regenbogen Schweiz (www.verein-regenbogen.ch).

Herr Michel*, der Vater von Alain (21) sagt, sein Sohn habe sich das Leben genommen, weil er brutal verprügelt worden sei. Kann man einen Suizid so erklären?

Wenn es um Suizid geht, sollte man sich vor einfachen Erklärungen hüten, weil selten ein einzelnes Erlebnis einen Suizid zur Folge hat. Aus der Forschung ist aber bekannt, dass traumatische Erfahrungen wie Gewalt, Misshandlung oder Missbrauch Risikofaktoren sind. Solche Erfahrungen können Suizide verursachen – kurzfristig nach dem Erlebten, aber auch noch Jahre danach.

Wie lässt sich dies verhindern?

Wer eine Gewalterfahrung macht, braucht eigentlich immer eine Therapie, nur die wenigsten können so etwas einfach wegstecken. Wichtig ist, dass man im Rahmen der Therapie auch immer wieder nach Suizidgedanken fragt.

Dies wird nicht immer getan?

Gerade bei jungen Männern muss man besonders genau hinsehen. Denn sie sprechen häufig nicht über ihre Suizidgedanken. (lüs)

*Konrad Michel ist Professor für Psychiatrie an der Uni Bern und Experte für Suizidprävention.

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