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Pfeifenraucher Wie Juwelen schön

Die Deutschen haben einen neuen Luxus entdeckt: die teure Kunst des Pfeiferauchens.
aus DER SPIEGEL 11/1973

Vier Dinge braucht der deutsche Mann, der etwas auf sich hält: einen kalbsledernen Tabakbeutel von Pierre Cardin, ein Pfeifenköfferchen in Lammnappa von Charlotta, München, und eine Londoner Dunhill mit dem weißen Punkt, gefüllt mit Alfred Dunhills »My Mixture«.

Dann erst ragt er wirklich hervor aus der Riesenherde der 14.9 Millionen infarktgefährdeten. krebsbedrohten deutschen Zigarettenpaffer sowie der ordinären Truppe seiner 1,5 Millionen pfeiferauchenden Landsleute; erst dann verströmt er jenes Air, das den Raucher von Welt kennzeichnet: nicht nur Männlichkeit und Besonnenheit. sondern auch Distinktion und Lebensart.

Der ideale Dunhill-Mann mit dem Köfferchen. neuerdings leitbildgerecht (und nach dem Vorbild ihres Labour-Freundes Harold Wilson) personifiziert von SPD-Politikern im Ministerrang, ist ein anspruchsvolles Wesen. Vergessen sind für ihn die tristen Nachkriegszeiten. in denen aus seiner geflickten Holzpfeife, jenem Not-Requisit des Noch-einmal-Davongekommenen. die Tabakernte aus heimischen Schrebergärten zum Himmel stank.

Innerhalb weniger Jahre ist er zum Kenner gereift. der beim Pfeifenkauf mit der Lupe nach

wertmindernden Kittstellen und toten Flecken in der Bruyère- Maserung sucht -- und gleich dem Kriminal-Autor Georges Simenon zum Sammler, der wohl weiß, daß er frühestens dann als Pfeifen-Adept passieren darf. wenn er ein gutes Dutzend erlesener Exemplare besitzt.

Loriot zum Beispiel hat 27 edle Holzköpfe, darunter sechs Dunhills, sieben Charatans und ein paar Savinellis aus Italien. Der Bonner Pfeifenraucher Gerhard Jahn verfügt über eine Kollektion von mehr als hundert, vor allem Dunhills und Parkers. Wie viele Dutzend Herbert Wehner hat, will er nicht sagen; doch mit Sicherheit besitzt er, gleich dem Bundesminister für Finanzen, auch ein Kunstwerk vom jungen Pfeifenmacher Ingo Garbe, dessen Einzelstücke neuerdings besonders geschätzt werden,

Garbe ist der einzige deutsche Name. der auf dem vaterländischen Markt et was gilt. Ehrwürdige Marken wie Oldenkott und Vauen dagegen sind bei Kennern nicht sehr gefragt -- und dies. obwohl doch, so beteuert Vauen-Chef Ernst Eckert, »deutsche Pfeifen nachweisbar genauso gut sind wie andere«. Doch offensichtlich sind sie eben dem deutschen Käufer nicht teuer genug.

Seit 1964 ist die deutsche Produktion von Tabakpfeifen aus Holz stetig gesunken -- von zwei Millionen Stück auf 800 000 im Jahr 1971. Dafür stiegen die Importe dänischer, englischer, auch französischer Marken. Von den 1,2 Millionen Pfeifen, die 1971 verkauft wurden, kamen 400 000 über die Grenze -- es waren die bei weitem teureren. Sie kommen. »wie Juwelen schön« (Savinelli-Slogan) und umgeben von

einer riesigen Aura von Handelsspannen plus Zollsätzen; und ein cleveres Marketing, unterstützt von Fernseh- und Presse-Medizinern, die vor den Gefahren des Zigarettenkonsums warnen, verhilft ihnen zu jährlichen Zuwachsraten von zehn Prozent und mehr.

Vorbei die Zeiten, in denen der Raucher eine Zehn-Mark-Pfeife getrost nach Hause trug -- er hat sich belehren lassen, daß ein hinreichend abgelagertes Stück mit einwandfreier Bohrung kaum unter 50 Mark zu haben ist.

Doch er zahlt auch viel mehr für die Maserung oder einen Firmennamen, der ihm hohe Qualität und den Hauch des Besonderen suggeriert: 148 Mark für den fast schon populären Peterson-Hänger mit dem Silberring, durchschnittlich 400 Mark für eine Garbe, über 1000 Mark für eine Bang mit »Straight Grain« -- das ist jene äußerst rare, lupenreine Senkrecht-Maserung. die dem Pfeifen-Aficionado zwar keinen besseren Rauchgenuß, wohl aber höchstes ästhetisches Vergnügen verschafft.

Durch Deutschlands Pfeifenfachgeschäfte mit Snob-Appeal, die rund 40 Marken und dazu insgesamt 950 Pfeifentabaksorten zu Endpreisen zwischen drei und 25 Mark je 50 Gramm anbieten, wandert gegenwärtig ein Savinelli-Set von sieben Straight Grains und sucht für 7000 Dollar einen Käufer. Zur selben Zeit werden in New York die teuersten Pfeifen der Welt feilgeboten: einige »Summa cum laude«-Straight-Grains von Charatan für je 2500 Dollar.

Erlauchte Namen dennoch haben sie bisher das Zauberwort Dunhill aus dem Bewußtsein deutscher Pfeifenraucher nicht verdrängenkönnen: Eine ganz orthodoxe Dunhill mit dem klassischen »Billard"Kopf und dem Zwei-Millimeter-Pünktchen gilt, trotz der vielen modernen und oft exzentrischen Designs aus Dänemark, noch immer als das Maß aller Pfeifen.

Denn Dunhill. das klingt nach »Upper Ten«, nach Makellosigkeit und gediegener englischer Tradition. 65 Jahre ist es her, daß der Sattler Alfred Dunhill im Londoner Kirchspiel zu St. James seinen Tabakladen aufgemacht hat, und der alte Mr. George Dec. seit 50 Jahren treu in Dunhill-Diensten, kann sich noch gut der fernen Tage erinnern, als die noblen Lords und Maharadschas und Offiziere, die damals noch Gentlemen waren, aus den Westend-Clubs zum Einkauf in die Duke Street kamen.

Inzwischen hat sich die Welt verändert. »Das Geld«, sagt Mr. Dee, der nur äußerst diskret vom Geld, etwa von Dunhill-Umsätzen, spricht, »ist zu Tom und Dick gewandert« -- zu den kaufkräftigen Kundenmassen s(ine) nob(ilitate).

Geändert hat sich auch das Gesicht der Firma Alfred Dunhill Limited« die mittlerweile zu 51 Prozent im Besitz der Rothmans-International-Gruppe ist und die im Londoner Hauptquartier wie in ihren elf Dunhill-Läden, etwa in Paris, New York, Tokio, Singapur, Kuala Lumpur und Düsseldorf, nicht nur Pfeifen, Tabak, Feuerzeuge und andere Raucherartikel, sondern längst auch Regenschirme. Manschettenknöpfe, Golfschläger, Herrenparfüms und Damenschmuck verkauft.

Unverändert ist nur eines: der schöne Gewinn, den Dunhill macht -- im letzten Geschäftsjahr waren es, bei einem Umsatz von fast 80 Millionen Mark, nach Abzug von Steuern 11,4 Millionen Mark. Steigerungsrate im Vergleich zum Vorjahr: 52,9 Prozent.

Die besten Umsätze (nämlich mehr als 80 Prozent) hat Dunhill dabei im Ausland, und sein schönster und größter Pfeifenmarkt ist seit zwei Jahren die Bundesrepublik. »Ich bin sicher«, sagt Dunhills Rick Lane, »daß Deutschland uns in den nächsten Jahren noch mehr Pfeifen abnimmt« -- und dies, obwohl sie hierzulande lachhaft teuer sind.

Eine Dunhill-»Root Briar« der Gruppe 4, die in London 152, für stetierfrei kaufende Ausländer gar nur 132 Mark kostet, geht in Hamburg oder München zum Preis von 280 Mark über den Ladentisch -- sehr zum Wohl des deutschen Zolls, der acht Prozent vom Grenzübergangswert kassiert, des Einzelhändlers, der 100 Prozent aufschlägt, und des Hamburger Dunhill-Importeurs Tuxedo, der nach Branchenbrauch auch nicht gern Zahlen nennt, aber doch wohl an jeder 280-Mark-Pfeife an die 66 Mark verdient.

Den deutschen Pfeifenkäufer hat das bisher nicht gestört -- im Gegenteil. Schätzungsweise zehn- bis zwölftausend Dunhills kommen 1973 ins Land, und »wir könnten«, versichert Dieter Goldschmidt von Tuxedo, »noch größere Umsätze machen, wenn wir nur immer das Richtige kriegten«. Aber das Richtige, klagt Rick Lane, kann Dunhill inzwischen nur mit Verzögerung liefern. denn es wird rar.

Rar wird der mediterrane Heidestrauch Erica arborea, der nur wild gedeiht und 30 bis 60 Jahre wachsen muß. bevor sein Wurzelholz pfeifenreif ist. Immer rarer werden deshalb auch die begehrten Dunhill-»Root Briars«, die unter ihrem glatten Nußbaum-Finish besonders makelfreies, hartes, lang abgelagertes und gut ausgetrocknetes Holz verlangen. Die bordeauxroten »Bruyères« oder sandgeblasenen »Shell Briars« sind schon leichter zu beschaffen.

Mit solchen Materialschwierigkeiten aber ist Loriot gar nicht mehr zufrieden -- er betrachtet Dunhills Pfeifen neuerdings mit Skepsis und sagt: »Meine Favoriten heißen jetzt Charatan.«

Andere Dunhill-Müde preisen die Savinelli. Ganz pfiffige Pfeifenraucher aber greifen wieder zur deutschen Vauen; denn die kostet den Bruchteil einer Dunhill und ist ihr doch in einem Punkt gleich -- im faszinierenden weißen Punkt auf dem Mundstück.

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