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Emil Hakl: Regeln des lächerlichen Benehmens

Ich wage zu behaupten, dass ich sehr selten, vielleicht niemals, ein Buch so schwer einschätzen konnte wie dieses. Es polarisiert, ganz klar, nicht nur die gesamte Lesermenge, sondern vermutlich sogar jeden einzelnen Leser.

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Nachdem ich den Schock über die Hässlichkeit der Welt dieses Buches, das einfach nur in Osteuropa, hauptsächlich in Prag, spielt, überwunden hatte, konnte ich mich auf die sehr bildliche, stark in Metaphern beschreibende Sprache von Emil Hakl einlassen. Das hat das Lesen zwar noch nicht zu einem Vergnügen gemacht, aber immerhin hat es Neugierde geschürt, auch auf die total unmenschlichen Figuren. Unmenschlich nicht im Sinne von böse oder dämonisch, sondern irrational bis ins Kleinste und schlichtweg nicht normal. Sie agieren in bestimmten Situationen nicht nur nicht so, wie es Bruttonormalverbraucher erwarten würde, sondern wie es einfach kein Mensch tun würde – hoffe ich zumindest. Die Dialoge sind zum Teil absurd, vor allem, wenn sich die Männer nur noch in gutturalen Lauten verständigen, das Frauenbild aberwitzig (alles hinterhältige Schlampen), aber auch die Männer kommen nicht besser dabei weg – sie sind Versager, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen, die ihre Kinder vernachlässigen, keinen Job finden, sich hängen lassen. Aber immerhin wissen sie das, prahlen nicht damit, sondern – ja, ich gehe zu weit zu sagen, dass sie darunter leiden. Nur kennen sie den Ausweg nicht und sind auch zu bequem, um um mehr zu kämpfen.

Die Welt in „Regeln des lächerlichen Benehmens“ ist schon brechtwürdig hässlich. Auf einer Bootstour am Ende des Buches gibt es überall nur Fischkadaver, tote Mäuse, brutale Insekten, Seerosen werden zur Todesfalle, ein kleiner Badeausflug im See endet mit Blutegeln, Melonen werden zu Cholera. Die Männer nehmen ungerührt zur Kenntnis, dass inmitten ländlicher Idylle eine Frau vergewaltigt wird …

Während Hakl manchmal mit literarischen Plattitüden aufwartet à la Fiktion = Geschichten = Lüge, gibt es an anderen Stellen Sätze, die das Buch dann doch noch gut machen, die zeigen, wie genau Hakl die Welt beobachtet und wie treffend er sie in Worte kleiden kann.

„Unterhalb davon Massen kreisender Fallschirme und Gleitschirme und sonstige Flatterteile mit menschlichen Egos im Anhang.“

„Geschichten sind keine Überraschung. Die Überraschung ist, dass Geschichten im normalen Leben nicht geschehen.“

In diesem Falle werde ich gerne überrascht, die Geschichte dieses Buches kann gern dort bleiben, die nichtsnutzigen Figuren ebenfalls und eine solche Bootstour möchte ich um Himmels Willen nie erleben. Aber die Sprache Hakls überzeugt, mehr als das.

Ich traue mich nicht, eine Leseempfehlung auszusprechen, abraten mag ich aber auch nicht. Wenn es jemand liest, meldet euch doch mal und sagt mir, was ihr darüber denkt.

Zum Autor: Emil Hakl (* 1958 in Prag), eigentlich Jan Beneš, arbeitete als Werbetexter, Redakteur und Journalist. Seit 1991 schreibt er unter seinem Pseudonym Emil Hakl Gedichte, veröffentlicht aber seit 2001 hauptsächlich Prosa. 2010 erhielt er für „Regeln des lächerlichen Benehmens“, das erst 2013 in deutscher Sprache erschien, den Josef Škvorecký Preis.  Sein Buch „Treffpunkt Pinguinhaus: Spaziergänge mit dem Vater“ (2010) wurde verfilmt und mit dem tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera ausgezeichnet.

Zum Übersetzer: Mirko Kraetsch (* 1971 in Dresden) arbeitet seit 2000 als freiberuflicher Übersetzer aus dem Tschechischen und Slowakischen.

Filed under Emil Hakl Regeln des lächerlichen Benehmens Braumüller Verlag 2013 Roman

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Gregor Sander: Was gewesen wäre

Mehr Indikativ als Konjunktiv.

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Als Teenager verliebt sich Astrid Hals über Kopf in Julius und er in sie. Doch dann ist plötzlich Schluss und Astrid sitzt allein in Neubrandenburg, während Julius seinen Dienst in der JVA verrichtet, damit er danach studieren kann. Auf dem Land verliert man sich jedoch nicht so schnell aus den Augen, sie treffen sich immer wieder auf Partys und in Diskos – und merken, da brodelt noch etwas. Erst als Julius aus der DDR flieht, ist die Beziehung wirklich vorbei. Julius eröffnet mit seinem Bruder Sascha eine Galerie in Hamburg, Astrid heiratet Tobias und studiert Medizin. 20 Jahre später ist die Mauer lange gefallen, Astrid Kardiologin, von Tobias geschieden und mit Paul zusammen, der ihr einen Trip nach Budapest zum Geburtstag schenkt, wo Astrid eigentlich gar nicht hinwill.

Erst als sie dort tatsächlich auf Julius trifft und Paul die ganze Odyssee ihrer Beziehung zu ihm schildert, versteht Paul, wieso. Als jedoch Julius bei seinem Wiedertreffen mit Astrid wortlos verschwindet, schwant dem Leser, dass er doch noch nicht die ganze Geschichte kennt, obwohl die Geschehnisse der Gegenwart und der Vergangenheit parallel zueinander geschildert werden. Wie also ist diese Beziehung wirklich geendet?

Eine Schlüsselrolle spielt Jana, Astrid frühere beste Freundin. Es grenzt an ein Wunder, dass Astrid zwei Wochen Westurlaub bekommt, die sie bei Jana in Westberlin verbringt. Als Jana ihr von dem Plan berichtet, Julius in den Westen zu holen, kann Astrid nichts mehr tun, um das Ganze aufzuhalten. Also flieht Julius unter Lebensgefahr über Jugoslawien in die BRD. Doch als er dort ankommt, wo er Astrid zu treffen hofft, ist diese schon wieder zurück in die DDR gereist. Die Enttäuschung und die Wut darüber bewegen Julius auch 2 Jahrzehnte später noch. Dabei hat sich längst herausgestellt – auch für Julius –, dass Astrid nichts mit diesem Plan zu tun hatte und die DDR Astrids Westurlaub nur deswegen erlaubte, um endlich Julius‘ Mutter Katharina, eine unbequeme Künstlerin, aus dem Land zu kriegen – und Jana hat die Strippen gezogen. Mit Julius im Westen sollte auch Katharina gehen, was sie nicht tat, stattdessen landete sie im Frauengefängnis.

Gregor Sanders zweiter Roman ist eine kurze, schnörkellose, sprachlich solide Story über die Ränkespiele der DDR. Die Stasi benutzte Menschen wie Marionetten, ohne Rücksicht darauf, wie viele Menschen und Schicksale sie dabei zerstören. Dabei steht Julius‘ und Astrids Geschichte zwar im Vordergrund, aber nur, um an ihnen die Hintergründe deutlich zu machen. Der Titel führt etwas in die Irre, denn es geht nicht darum, was gewesen wäre oder hätte sein können. Es geht eindeutig darum, was gewesen und wie blöd das gelaufen ist. Nichts davon konnten ausgerechnet die beiden, die von nichts eine Ahnung hatten, beeinflussen.

Zum Autor: Gregor Sander (* 1968 in Schwerin) begann verschiedene Ausbildungen und Studiengänge, bevor er seine Berufung zum Autor entdeckte. Heute lebt er als solcher in Berlin. Er veröffentlichte bisher zwei Romane und zwei Erzählbände. Für „Winterfisch“ erhielt er den 3Sat-Preis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, den Preis der LiteraTour Nord und zuletzt 2013 den Deutschen Erzählerpreis. „Was gewesen wäre“ ist seine neueste Veröffentlichung.

Filed under Wallstein Verlag Gregor Sander Was gewesen wäre Roman DDR

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Zitat des Monats Auflösung April

Diese wunderbare Poesie in Romanform kann nur von einem stammen: Paul Harding. Sein Debütroman „Tinkers“ wurde nach jahrelanger Erfolglosigkeit plötzlich mit Preisen überschüttet und erhielt 2010 sogar den Pulitzerpreis. Zu Recht, denn „Tinkers“ wartet nicht nur mit einer mitreißenden Story auf, sondern ist auch sprachlich beeindruckend und einmalig.

„Was, wenn es klar ist und der Himmel so randvoll von Sternen, dass das Licht auf die Erde überläuft und sich am Ufer in leuchtende weiße Blumen verwandelt, die funkeln und in dem Moment spurlos zerstieben, wenn der Planet am tiefsten Meridian der Nacht vorbeizieht und sich wieder zur Sonne dreht?“

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In Koli Jean Bofane: Sinusbögen überm Kongo

Von blutigen Stammeskämpfen bis hin zum turbulenten, bunten Großstadtleben hat der Kongo alles zu bieten, was man von außen erwartet, sowohl Positives als auch Negatives.

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Der Junge Celio verliert seine Eltern während Revierkämpfen und wächst als Waise in einem christlichen Kinderheim auf. Alles, was ihm von seinem Vater bleibt, ist dessen Mathematikbuch, in das er sich in einsamen Stunden vertieft und das ihm später durchs Leben hilft. So unterstützt er arme Nachbarn nicht nur bei deren Behördengängen und sammelt Gelder für karitative Zwecke, sondern steigt eines Tages im Kommunikations- und Planungsbüro der Regierung ein. Dort soll er Maßnahmen und Projekte planen, die den Präsidenten stützen, die Opposition aber stürzen.

Kann Celio sein Gewissen anfangs noch zähmen, wird es mit der Zeit immer schwieriger, seine Taten zu rechtfertigen, besonders als seine Pläne erste Opfer fordern. Erst als Celio erfährt, dass sein Chef Tshilombo am Tod seines Freundes Baestro schuld ist, kann er die Reißleine ziehen und sich nicht nur von seiner Eitelkeit und seinen egoistischen Träumen befreien, sondern auch gleich den korrupten, machtbesessenen und skrupellosen Tshilombo öffentlich diffamieren.

„Sinusbögen überm Kongo“ vom kongolesischen Autor In Koli Jean Bofane thematisiert den Kampf der Menschen um ihr Recht – und wie lang und hart und entbehrungsreich dieser Kampf sein kann und in der Realität meist auch ist. Nach der grausamen Kolonialherrschaft Belgiens, die bis 1960 andauerte, Diktatorenherrschaft, Bürgerkriegen, Misswirtschaft und Ausbeutung zählt Kongo-Kinshasa (ehemals Zaire) heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Darum lauert das Monster Hunger überall – unter der Asche im Feuer von Mutter Bokeke, in den Mägen der Schulkinder, in jedem Winkel. Die einzige Möglichkeit, dem zu entkommen, sieht das Volk in freien Wahlen, die es herbeisehnt und die ihm doch immer wieder verwehrt werden.

Dieses Buch schildert auf teils satirische Art und Weise das Leben im Kongo. Dort gibt es ebenso junge, moderne Menschen wie hier, Frauen müssen sich noch beweisen in der männlich dominierten  Berufswelt, Mode und Musik spielen eine große Rolle, aber auch Mystik und Zauberer, die das Gegengewicht zur westlichen Moderne darstellen. Aberglaube ist dort ein ebenso großer Bestandteil des Lebens wie Mathematik. Viele Figuren sind Stereotypen, besonders die Frauen, und der Umgang mit Ausländern zeigt, wie ironisch Bofane mit den Erwartungen der Leser an Schwarzafrika spielt. Das Ende wünscht sich auch ein bisschen Utopie herbei, denn freie, offene und faire Wahlen hat es im Kongo noch nie gegeben, und insgesamt rückt dieses Buch uns deutschen Lesern den Kopf zurecht.

Zum Autor: In Koli Jean Bofane (* 1954 in Mbandaka, Kongo-Kinshasa) studierte Kommunikationswissenschaften und arbeitete lange in der Werbebranche. Anschließend gründete er seinen eigenen Verlag für Comics und Essays. Nach vorherigen, zum Teil längeren Aufenthalten in Europa flüchtete er 1993 vor dem Bürgerkrieg und der staatlichen Zensur nach Belgien. Dort begann er selbst zu schreiben und schuf einige preisgekrönte und in dutzende Sprachen übersetzte Werke. „Sinusbögen überm Kongo“ wurde mit dem Prix Jean Muno (2008) sowie mit dem Prix littéraire de la SCAM (2009) und dem Grand Prix littéraire de l'Afrique noire (2009) ausgezeichnet.

Zur Übersetzerin: Katja Meintel (*1975) studierte Romanistik, Ethnologie und Germanistik. Sie übersetzt u. a. Abdourahman A. Waberi, Patrick Pécherot und Bessa Myftiu.

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